Zum 600. Geburtstag der Universität Rostock sollte die bestehende historische Galerie der Professoren um eine aktuelle Ausstellung mit Porträts der Professorinnen ergänzt werden. In Auftrag gegeben wurde das Projekt von der Kunst-affinen Elizabeth Prommer, der Direktorin des Instituts für Medienforschung, die eine Upcycling-Lösung unterstützte. Das ist keine Selbstverständlichkeit in diesem besonders repräsentativen historistischen Ambiente. Das ausnehmend schöne Hauptgebäude der 1419 vom Papst Martin V. gestifteten Universität ist ein vorzügliches Beispiel der Neorenaissance. Für den Neubau von 1867-70 hatte Friedrich Lisch das Bildprogramm entwickelt, seinerzeit Konservator für historische Kunstdenkmäler, Historiker, Archivar, Bibliothekar und Publizist. Das ist ein einschüchternd repräsentativer Rahmen für die Galerie.
Ein Porträt ist oft schwierig genug, namentlich von lebenden Modellen, die eine eigene Sicht von ihrer Person haben, die sich abbilden soll. Mit 57 wird das noch komplizierter, und ich hatte auch weniger Zeit als die früheren Künstler. Um die Akzeptanz zu erhöhen, wurden die Professorinnen um digitale Bilder gebeten. Aber was da zusammenkam war sehr divers. Viele Porträts waren von professionellen Fotografen aufgenommen, klassisch zum Betrachter blickend, mitunter aber in schwarz weiß. Eingereicht wurden auch Ganzkörperdarstellungen bei Veranstaltungen und Schnappschüsse mit Prominenten. Jedes einzelne Bild war in sich attraktiv, aber sie passten nicht einmal in Fünfergruppen zusammen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir einen gemeinsamen Nenner für alle 57 vorstellen konnte.



Bei der Suche nach möglichst runden Bildträgern half nach umfangreichen Recherchen die Internet- Plattform Kunst.Stoffe Berlin, ein gemeinnütziger Verein, der geeignete Materialien vor der Entsorgung rettet und Kreativen anbietet. 30 flache Transportdosen für 35mm-Filmspulen waren zu haben, aus Plastik in verschiedenen Grün-, Pink und Schwarztönen. Die Oberflächen waren so zerkratzt und mit zahllosen hartnäckigen Produktionsaufklebern bedeckt, dass sie von einer Filmfirma aussortiert wurden. Die meisten Beschriftungen bezogen sich auf einen Film über die Fantastischen Vier, aus deren Filmdosen nun 60 fantastisch runde Untergründe wurden. Das reflektierte Abbild aus der Herkunft der Bildträger war für das Konzept interessant. Die Entwicklung von Foto und Film waren Anlass für Walter Benjamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“. Darin beschrieb er, wie der von ihm so bezeichnete „Ausstellungswert“ des Kunstgegenstandes den „Kultwert“ verdrängt. Die neuen technischen Möglichkeiten waren der Katalysator – heute ist es dieDigitalität. Während Benjamin 1936 den Wandel der Denk-und Wahrnehmungsweise eher pessimistisch betrachtete und den Verlust der Aura beklagte, wird hier der Kontrast von digital und historistisch spannend. Das Ausgangsmaterial bekommt im Clash mit der Aura des Ausstellungsortes eine andere Bedeutung. Das Plastik mit Blattmetall zu belegen wurde als Option diskutiert und verworfen. Denn es sollte ja auch ein Gegenentwurf zu den extrabreiten Goldrahmen mit ovalen Bildausschnitten werden. Die antiken Professorendarstellungen im schwarzen Ornat vor dunklem Hintergrund mit nur wenigen Rottupfern und blassen Hautfarben haben ein sehr reduziertes Farbspektrum. Den Plastikdosen gaben verschiedenste Farbreste nun ein einheitliches Erscheinungsbild, das sie bunter, leichter und femininer wirken lässt. Wenn Farbdosen, im Streetartjargon „Kannen“ genannt, nicht mehr sprühen, enthalten sie aber noch Farbreste. Deshalb gehören sie nicht in die gelbe Wertstofftonne. Erzählen Sie es nicht den Kindern, aber wenn man unten am Rand eine große Schraube einklopft, kann man diese Farbe noch sprühen und vollständig austropfen lassen. Das will man nicht einmal im Atelier machen, denn es ist eine elende Schweinerei. Ich musste die Dosen gut überlappend stapeln und die Farbreste möglichst gleichmäßig verteilen. Das Problem der unterschiedlich eingefärbten Filmdosen und ihrer sehr lädierten Oberflächen wurde mit diesen Lackresten pragmatisch gelöst. Dripping und die malerischen Farbübergänge machen die einzelnen Werke zu Unikaten. Haste mal nix drauf, machste nen Verlauf.
Die von den Professorinnen eingereichten Fotos wurden digital bearbeitet. Zu den dunklen Leinwand-Ölgemälden der Herren wurde ein Komplementärmodell entwickelt: mit einheitlich hellen Hintergründen und mindestens vier Farbtönen pro Bild. Schwarzweißaufnahmen habe ich nachkoloriert. Die Abstimmung der veränderten Bilder war nicht ganz unkompliziert, aber digital kann man ja leichter ändern. In allen 57 Portraits wurden Schattierungen, Lichter und Farbkontraste einander angenähert, um ein harmonisches Gesamtbild zu erzeugen. Das wurde im analogen Produktionsprozess im Druck auf strukturiertem Textil noch verstärkt. Nach dem Ausdruck wurden die einzelnen Bildnisse farblich passenden Bildträgern zugeordnet, zugeschnitten und verklebt und mit irisierender Acrylfarbe Glanzlichter aufgelegt. Per Hand bemalt und beschriftet sind die einzelnen Porträts nun in der Galerie passend und doch Unikate.In dieser Inszenierung mit einer opulenten Bildträgertiefe von fünf Zentimetern bekommt diese Galerie ein harmonisches Gesamtbild, das sich in dem repräsentativen Kontext behaupten kann.
Die Vernissage war interessant. Über Nacht hatte jemand anonym sehr schonend zusätzliche Klebchen angebracht, die die DDR-gebürtigen Professorinnen – deutlich in der Minderheit – noch extra auswiesen. Eine interessante Aussage, aber hier geht es ja um keine Minderheitenolympiade, sonst könnte noch nach sexueller Präferenz oder Migrationshintergrund gefragt werden. Mit den Bildnissen waren die Anwesenden sehr zufrieden, hier haben sich die Diskussionen der Entwürfe ausgezahlt.